Vortag 2
Inklusive Sprachbildung mit mehrsprachigen digitalen Bilderbüchern in Gebärden- und
Lautsprachen
Taube und schwerhörige (tb/sh) Kinder profitieren besonders vom interaktiven Vorlesen –
über die tatsächliche Vorlesepraxis in ihren Familien und Bildungseinrichtungen ist bislang
jedoch wenig bekannt. Das Projekt ReaDi – Reading Digital untersucht diese Praktiken,
Herausforderungen und Bedarfe und entwickelt digitale, inklusiv nutzbare Bilderbücher in
Laut- und Gebärdensprachen.
Auf Grundlage einer empirischen Bedarfserhebung mit über 250 Eltern und Fachkräften
wurden Vorlesepraktiken, Herausforderungen und Unterstützungsbedarfe erfasst. Auf Basis
dieser Daten erarbeitet das Projekt ein inklusives, barrierereduziertes Konzept zur
sprachlichen Bildung tauber, schwerhöriger und hörender Kinder mithilfe digitaler
Bilderbücher. Es berücksichtigt Mehrsprachigkeit und richtet sich sowohl an formelle als
auch an informelle Bildungsorte.
Die Ergebnisse zeigen: Das Vorleseverhalten hängt stark vom Selbstwirksamkeitserleben der
Erwachsenen sowie von den kommunikativen Fähigkeiten der Kinder ab. Herausforderungen
bestehen insbesondere im Einsatz der Deutschen Gebärdensprache, in der mehrsprachigen
Alltagskommunikation und bei der Aufmerksamkeitssteuerung tb/sh Kinder. Die entwickelten
Materialien werden ab Herbst 2025 kostenfrei online zur Verfügung gestellt.
Swantje Marks, Berlin
ReaDi ist ein Verbundprojekt der LMU München und der HU Berlin, gefördert
vom BMBF (Förderkennzeichen: 01JM2205b).
Mehr unter: https://projekt-readi.de
Vortag 1
‚DeafMind & DeafDidaktik‘
Forschungsergebnisse zeigen, dass die Modalität einer Sprache (vokal-auditiv vs. manuell
visuell) einen Einfluss auf die Organisation von Wissen hat. Dieser Sprachmodalitätseffekt, der
sich je nach verwendeter Sprache (Gebärdensprache vs. Lautsprache) in unterschiedlichen
Formen der semantischen Wissenskommunikation und -organisation ausdrückt (Grote, 2013),
führt dazu, dass Taube Signer ein von der Gebärdensprache beeinflusstes Denken entwickeln,
das wir ‚DeafMind‘ nennen.
Bei der Unterrichtung Tauber SchülerInnen sollte berücksichtigt werden, dass sie eine andere
Lernkultur und Didaktik benötigen als hörende SchülerInnen. Die reine Übersetzung
lautsprachlich vermittelter Lerneinheiten durch Gebärdensprach-dolmetscherInnen oder ein
bilingualer Unterricht reichen nicht aus, um den kognitiven Denkstrukturen und -prozessen
tauber Kinder gerecht zu werden.
Es wird eine sogenannte ‚DeafDidaktik‘ benötigt. Diese Form der Wissensvermittlung
berücksichtigt, dass die Art des Erklärens und die im Unterricht verwendeten Methoden und
Materialien kohärent sind mit der Art und Weise des Denkens tauber Signer. Sie richtet sich
aus an den stärker syntagmatisch organisierten semantischen Konzepten eines ‚DeafMind‘ und
basiert auf einer weniger linearen, sondern stärker visuell-räumlichen, d.h. eher sinnlichen
dreidimensional-szenischen Vermittlung von Wissen. DeafDidaktik basiert auf den natürlichen
Sprachstrukturen der DGS, die sich seit jeher im dreidimensionalen Raum entfaltet und
entwickelt haben.
In dem Vortrag „DeafMind & DeafDidaktik“ werden wir eine kurze Einführung in beide
Themenbereiche geben und anhand von Beispielen erläutern.
Dr. Klaudia Grote & Bastian Staudt, Aachen
Kompetenzzentrum für Gebärdensprache und Gestik (SignGes)
Mehr unter: www.signges.rwth-aachen.de